Umarme dein Leben

Umarme dein Leben

Wilfried Nelles,Umarme Dein Leben. Wie wir seelisch erwachsen werden

 

So erwachsen wir uns auch in vielen Lebensbereichen, etwa im Beruf oder generell im öffentlichen Leben, fühlen und nach außen präsentieren mögen, so sehr prägen kindliche Gefühle und Verhaltensmuster unseren Alltag vor allem da, wo Gefühle ins Spiel kommen. „Umarme Dein Leben“ ist eine Botschaft an alle, die ihr Kindsein hinter sich lassen und ganz in ihr erwachsenes Dasein eintreten wollen, egal ob sie 30 oder 60 sind. Umarme dein Leben heißt: Sag ja zu allem, was war. Sag ja zu deinen Eltern, zu dir selbst, zu dem Kind und dem/der Jugendlichen, die du einst warst, mit allem, was du damals erlebt hast. Schau mit Liebe auf dich und dein Leben, dann bist du plötzlich erwachsen ganz von selbst. Mit dem Lebensintegrationsprozess stellt Wilfried Nelles ein Verfahren vor, das uns dabei hilft, zu sehen und zu fühlen, was der innere Sinn, die innere Vision unseres Lebens ist. Diese Vision, die wir über unseren Lebenskämpfen oft vergessen haben, tragen wir von Anbeginn an in uns. In dem hier vorgestellten Verfahren können wir damit wieder Kontakt aufnehmen und die Verletzungen unseres Lebens in den Hintergrund treten lassen.

Leseprobe
Bestellung im lokalen Buchhandel oder hier bei Amazon.

 

Interview mit Wilfried Nelles über sein Buch „Umarme dein Leben – Wie wir seelisch erwachsen werden“

Sie sagen, dass wir uns zwar im öffentlichen Leben sehr erwachsen geben, aber oftmals noch kindliche Gefühle unser Handeln prägen. Können Sie ein Beispiel nennen?

Vieles, was Paare voneinander erwarten und wie sie sich in Krisen verhalten, ist kindlich. Der andere soll uns glücklich machen, soll immer für uns da sein, uns immer verstehen – das sind alles Dinge, die ein Kind von der Mutter erwartet und auch braucht, aber nicht zwei erwachsene Menschen. Und wenn es dann anders kommt, wird gejammert, geflennt und gewütet, als wenn man ein Recht auf den anderen und dessen Liebe hätte. Aber das ist nur die Oberfläche, tief im Innern sind wir alle von unseren kindlichen Erfahrungen und Gefühlen stark beeinflusst, ohne dass die meisten dies merken. Das kommt vor allem dann zum Ausdruck, wenn etwas passiert, das uns emotional trifft oder stark berührt. Dann übernimmt das Kind in uns die Herrschaft, wir werden panisch, ängstlich, aggressiv, usw. Viele meiden auch das volle Leben oder das Sich-Einlassen auf tiefe Beziehungen, damit dies gar nicht erst geschieht. Das sind alles kindliche Erwartungen, Muster und Reaktionen.

Woher kommt das?

Es gibt dafür mindestens zwei Gründe. Der erste ist, dass uns die frühkindlichen Erfahrungen, Prägungen und Gefühle nicht bewusst sind. Nur eines von hundert möglichen Beispielen: Wenn jemand mit einem Kaiserschnitt geboren wird, die Mutter im Koma liegt und der Säugling, der bisher nur Dunkelheit kannte, unter gleißendem Licht untersucht und dabei vielleicht auch noch gestochen wird, brennt sich dies in sein Gefühlsleben ein, ohne dass er das merkt. Die Mutter, die bis jetzt seine ganze Welt war, ist plötzlich weg, alles Bekannte ist weg. Jede intime Beziehung wird von dieser ersten Erfahrung beeinflusst sein, man wird immer auf der Hut sein und sich vielleicht nie mehr ganz auf einen Menschen einlassen. Das geschieht aber völlig automatisch und unbewusst, so lange wir damit nicht in einen bewussten und gefühlsmäßigen Kontakt kommen. Das gilt für alle frühkindlichen und sogar vorgeburtlichen Erfahrungen, sie beeinflussen mehr oder weniger massiv unsere unbewussten Gefühlsreaktionen und Lebensmuster.
Das Zweite ist, dass wir das leidende Kind in uns nicht im Stich lassen wollen. Das gilt jetzt auch für die Dinge, an die wir uns erinnern. Wir glauben, dass es unserem inneren Kind gut täte, wenn wir es (und damit uns selbst) bedauern, wenn es etwas Schmerzliches erlitten hat, und dass wir seinem Leiden treu bleiben müssten. Ein aktuelles Beispiel: Menschen, die vor 30, 40 oder mehr Jahren sexuell missbraucht wurden, bilden jetzt Opferverbände, die Medien fordern Rache und Genugtuung und die Regierung fördert das auch noch. Damit wird der Missbrauch, der sicher schlimm war für die meisten, verewigt anstatt geheilt. Für das innere Kind in uns ist das ganz furchtbar, und dem Erwachsenen hilft es überhaupt nicht. Er bleibt innerlich ein ewig leidendes Kind.
Was unser inneres Kind wirklich braucht, ist etwas ganz anderes, nämlich dass es von unsgesehen wird, auch und gerade in seinem Schmerz, und dass man ihm diesen Schmerz und sein ganzes Erleben lässt. Zum Sehen braucht man aber Abstand, was bedeutet, dass man sich nicht mehr mit dem Kind und seinem Leiden identifiziert. Das Kind in uns ist erlöst, wenn es sieht, dass das Schlimme vorbei ist und der Erwachsene ganz normal und sicher im Leben steht und ja zu sich selbst sagt, mit allem, was geschehen ist.

Was braucht es, damit wir als Erwachsener die kindlichen Verhaltensmuster hinter uns lassen können?

Liebe zum Kind und eine wache und bewusste Wahrnehmung der Wirklichkeit. Ersteres heißt: Ich liebe das Kind (das ich war) so, wie es ist, und lasse ihm seine Geschichte so, wie sie war. Ohne Mitleid, ohne Urteil, aber mit Liebe. Das meine ich mit „Umarme dein Leben“.
Um dazu fähig zu sein, muss man erkennen, dass die Kindheit vorbei ist und dass alles, was war, mir geholfen hat, dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Was immer früher war: jetzt bin ich erwachsen und letztendlich allein in dieser Welt in dem Sinne, dass es niemanden gibt, der mir sagen kann, was richtig und was falsch ist und wie ich leben soll. Man ist ganz allein verantwortlich und muss sich dieser Tatsache stellen.
Wenn man das in vollem Umfang realisiert, geschieht etwas Unglaubliches: Man erkennt, dass man frei ist. Freiheit muss man sich nicht erkämpfen, wir sind frei. Solange wir darum kämpfen, sind wir in einem jugendlichen Bewusstsein. Wer wirklich erwachsen ist, weiß, dass er frei ist. Damit man das realisiert, muss man sich aber seiner persönlichen und seiner Familiengeschichte stellen. Dabei wird manches auftauchen, was sehr weh tut. Auch dem muss man sich stellen und es so lassen, ihm so zustimmen und es so zu sich nehmen, wie es ist.

Sie stellen in dem Buch ein Verfahren vor, mit dem diese Erkenntnis erreicht werden soll, den Lebens-Integrations-Prozess. Was sind die wesentlichen Punkte dieses Prozesses?

 Der Lebens-Integrations-Prozess ist ein Verfahren, mit dem man den roten Faden des eigenen Lebens sehen kann. Man schaut auf sein Leben von außen, also nicht aus der Erinnerung heraus, sondern als sähe man es in einem Film. Ich arbeite dabei mit der Repräsentationsmethode, wie sie beim Familienstellen verwendet wird. Im Unterschied zum Familienstellen geht es aber nicht um Beziehungen zu anderen, sondern um die Haltung zu sich selbst und zur eigenen Geschichte, zum eigenen Leben. Der Klient geht innerlich in eine erwachsene Haltung und schaut von dort aus auf die Zeit im Mutterleib, auf die Kindheit und die Zeit der Jugend, die jeweils durch Stellvertreter repräsentiert werden.
Dabei sieht man natürlich nicht alles, aber doch die entscheidenden inneren, seelischen Bewegungen. Man sieht und fühlt einerseits, was von außen auf einen eingewirkt hat und wie man dies verarbeitet hat – also zum Beispiel Probleme in der Pubertät, Verletzungen in der Kindheit, Gefährdungen des eigenen Leben vor oder bei der Geburt. Daneben taucht aber oft noch etwas ganz anderes auf: Wir sehen beim Kind im Mutterleib, dass jeder Mensch mit einer ganz bestimmten Gabe auf die Welt kommt, wenn man so will einer inneren Bestimmung oder Lebensaufgabe. Ich nenne dies unsere „innere Vision“, die sich durch unser gesamtes Leben zieht. Das ist etwas ganz und gar Individuelles, es ist bei jedem anders und hat nichts mit den Eltern zu tun. Das Erkennen und Aufnehmen dieser „inneren Vision“ ist der Schwerpunkt des Prozesses.

Wenn man diese innere Vision gesehen und ihr innerlich ganz zugestimmt hat, dann ist das, wie wenn man in einem Flussbett eine Sperre von Treibholz oder Ähnlichem beiseite geräumt hat: Der Fluss fließt dann ganz von selbst. Man muss die Kraft dieses Fließens aber aushalten, denn da könnte vieles den Bach runter gehen, an dem man sich vorher festgehalten hat. Kontrolle und so etwas wie „sein Leben im Griff haben“ gibt es dann nicht mehr. Du treibst vielmehr mit, wo immer der Fluss dich hinträgt.

Das Interview führte Viola Losemann

Umarme dein Leben